Moment, werden Sie jetzt sagen. Der hat doch eine Überschrift, auch wenn in dieser steht, dass er keine hat.
Ein Paradoxon ? Ja und nein. Und genau darum soll es in diesem Artikel auch gehen. Und zwar um die vielen Widersprüche, Ungereimtheiten, Mythen, Irrungen- und Verwirrungen im Hobby Meerwasseraquaristik. Das war die grobe
Richtschnur unseres Themenabends. Und zwar für meinen Gegenbesuch bei Claude Schuhmacher, CEO von Fauna Marin und Extreme Corals. Getroffen haben wir uns bei seinem Lieblingsthailänder in Böblingen und dort steht – ein Meerwasseraquarium. Also ein passender Ort, nicht nur für leckeres Essen, sondern auch für unser Thema, erst recht mit dem Blick auf einen herrlichen Schwarm Zebrasoma Flavescens.
Wie immer, wenn Claude und ich uns sehen, gibt es keine Schweigeminute, nicht einmal während der Nahrungsaufnahme. Daher kann man sich vielleicht vorstellen, dass es kein einfaches Unterfangen ist, daraus so etwas wie ein einigermaßen lesbares und nachvollziehbares Interview zu kondensieren.
Aber, es gibt bekanntlich keine Probleme, sondern nur Herausforderungen. In diesem Sinn, hoffe ich, dass mir das ganze halbwegs gelungen ist und wünsche viel Spaß bei der Lektüre.
SWW: Claude, heute wollten wir über Mythen, Widersprüche, mehr Schein als Sein usw. in unseren Hobby sprechen. Eigentlich ein riesiges Feld, bei welchem man aufpassen muss, nicht vom hundertsten in das tausendste zu kommen. Daher wäre meine erste Frage an dich, was dir dazu spontan als erstes einfallen würde.
CS: Salz !
SWW: Salz ? Okay und wie muss ich das jetzt verstehen ?
CS: Für viele ist z.B. Salz gleich Salz. Egal welche Marke oder welcher Preis. Es sieht gleich aus. Der Auarianer hat objektiv erstmal keine Möglichkeit, da einen Unterschied zu erkennen. Gerade aber auch diejenigen, welche noch nicht so lange dabei sind, tun sich da schwer. Das ist natürlich bitter für Hersteller, welche mit entsprechenden Kosten und hohem technischen Aufwand ein sehr gutes Salz herstellen.
SWW: Verstehe, du meinst damit auch generell das Problem, dass wohl die wenigsten auch die jeweilige Kompetenz besitzen, ein Produkt auch hinreichend zu bewerten.
CS: Ja, auch. Aber vor allem das dieses von manchen Firmen zum einen genutzt wird und ob bewußt oder unbewußt, von sogenannten selbsternannten Experten dann auch überall so kolportiert wird. Nicht das dieses jetzt besonders schlimm für die „ehrlichen“ Firmen wäre, aber es trägt eben zur allgemeinen Verwirrung bei. Und wie soll z.B. ein Einsteiger darauf kommen, wenn sein Becken nicht richtig läuft, dass es ausgerechnet z.B. sein Salz ist ?
SWW: Naja, er kann eine ICP machen und den Dingen auf den Grund gehen. Ich meine, man bekommt eine Symptomatik mit welcher erfahrene Leute, wie z.B. Du, vermutlich recht schnell nach Ausschlussverfahren bei der Ursache landen.
CS: Schon. Aber bis die z.B. bei mir landen, haben die meist schon eine gewaltige Odyssee hinter sich. Viele sind da auch schon auf der Strecke geblieben und haben der MW-Aquaristik frustriert den Rücken zugekehrt, was ja nicht unser Ziel sein kann. Wir wollen ja, dass die Aquarianer Erfolg und Spaß an Ihrem Hobby haben. Und weil Du die ICP – Messungen angesprochen hast. Du glaubst gar nicht, wieviele Problemfälle ich mittlerweile gewissen Produkten ziemlich eindeutig zuordnen kann.
SWW: Inwiefern meinst Du das ?
CS: Nun man kann bei der Herstellung von Meersalzen auch deutlich sparen. Dies geht dann natürlich nur auf Kosten der verwendeten Rohstoffe und bei der Verarbeitung. Eines der Beispiele wäre das zugeben von Effektmitteln, wie Vitamin C um ein schnellers Auflösen des Salzes zu erreichen. Damit kann man sich das vermahlen der Komponenten ersparen. Die Folgen sind natürlich irgendwann im Becken zu sehen da die ständige Zufuhr von Vitamin C und gepaart mit der schlechten Durchmischung ungemahlener Salze, irgendwann Folgen hat. Es wird auch viel an Elementen gespart, vor allem wenn es sich um teurere Spuren- und Makroelemente, wie Kalium- und Strontium handelt.
SWW: Als investigativer Journalist muss ich nachhaken ?
CS: Es steht dir frei, anonyme Proben einzuschicken und selber zu forschen. Mittels der ICP kannst ja schon die Elemente einsehen, Die Zusatzstoffe oder organischen Verschmutzungen der Rohstoffe lassen sich so leider aber nicht nachweisen. Das zeigt sich dann schnell an den Korallen.
SWW: Darüber werde ich tatsächlich nachdenken. Aber weiter im Text. Das bedeutet aber auch, dass der heutige Aquarianer, trotz der immensen Informationsflut, weiterhin eigenen Forscherdrang entwickeln muss.
CS: Unbedingt. Ich unterscheide mittlerweile immer in zwei Kategorien. Und zwar den Aquarianer und den Aquarienbesitzer. Der Aquarianer will den Dingen auf den Grund gehen. Der hat ehrliches Interesse an der Materie und fuchst sich da rein. Diese Spezies bringt nicht nur das Hobby weiter, sondern wird i.d.R. auch immer erfolgreich das Hobby betreiben können.
SWW: Und der Aquarienbesitzer ?
CS: Der hat das Aquarium, wie ein Bild oder einen anderen Gegenstand. Es ist kein wirkliches Interesse da. Aber auch diese Spezies mischt z.B. in Foren etc. mit und verbreitet eben nicht selten ziemlichen Nonsens. Erlebe auch immer wieder, dass so jemand dann, nachdem er irgendwie 1-2 Jahre ein Aquarium besitzt, mir meinen Job erklären will – echt putzig.
SWW: Das kann ich mir vorstellen. Das bringt mich aber auf die Frage, wie Du eben zu dieser Informationsflut durch die ganzen neuen Medien, wie Facebook, Foren, Blogs usw. stehst. Hilft- oder verwirrt das, gerade den Neueinsteiger ?
CS: Da würde ich wieder zum gesagten zurückkehren. Dem Aquarianer hilft es. Dem Aquarienbesitzer nicht. Er wird sich im Kreis drehen, weil er jeder Meinung hinterherläuft. Das ist dann i.d.R. kostenintensiv aber viel trauriger, es bleiben auch mehr als genug Tiere dabei auf der Strecke.
SWW: Apropos Tiere und auf der Strecke bleiben. Ist es dann nicht auch so, daß gerade dadurch das Hobby auch immer wieder eine tendenziöse Berichterstattung ertragen muss und die Außenwirkung eben so negativ wahrgenommen wird.
CS: Sehe ich gar nicht so schlimm. Ist das wirklich so ?
SWW: Naja, der neuen Koralle war es sogar eine größerere Abhandlung über einen sehr kritischen Artikel, welcher glaube ich in der Welt erschienen ist, wert. So a’la stoppt eben die Aquarienbesitzer und der Hype um Nemo und Dorie etc..
CS: Naja, das was da berichtet wird, also gerade mit dem findet Nemo usw. entspricht ja gar nicht den Tatsachen. Fakt ist, daß es diesen Hype gar nicht im negativen gab, sprich es sind jetzt weltweit nicht tausende losgezogen und haben sich Aquarien gekauft um Ihren Kindern die Nemos zum spielen zu geben. Es ist etwas ganz anderes passiert und zwar das Interesse am Meer und seinen Bewohnern ist auch bei den kleinsten gestiegen. Und das sehe ich eher positiv.
SWW: Wenn dem so ist, wie Du sagst und da stehst Du näher dran als ich, dann wäre das ja in der Tat sehr erfreulich. Aber Du kannst nicht leugnen, daß der Dorie – Film mit zur Diskussion über die generelle Haltung von Doktorfischen beigetragen hat.
CS: Unser Thema ist ja u.a. Irrungen und Verwirrungen. Also, auch auf die Gefahr mich jetzt aus dem Fenster zu lehnen ist meine Maxime immer noch die, dass es mir lieber ist, ein satter Hawaidoc schwimmt in einem 350l Becken als ein spindeldürrer in zweitausend litern. Aber das ist eine Diskussion bei welcher es nie einen Konsens geben wird und kann. Genau genommen können wir keinen einzigen Fisch artgerecht halten, wie auch. Aber das können wir ebensowenig bei unseren sogenannten „Nutztieren“, allein was für ein Wort.
SWW: Sehe ich auch so. Und diese sind, z.B. Schweine, auch nochmal um einiges intelligenter als so manche Spezies in unseren Aquarien – also eine Doppelmoral ?
CS: Ja, finde ich schon.
SWW: Wenn ich nochmal auf den Artikel, wie gesagt, war glaube in der Welt, zurück kommen darf. Dort war einer der Hauptvorwürfe, wenn ich mich richtig erinnere, dass es keinen Erkenntnisgewinn durch Heimaquaristik mehr gibt und daher alle diese Becken lediglich noch als bunte Schmuck- und Prestigeobjekte genutzt bzw. zu diesen degradiert werden. Was würdest du dem Schreiber des Artikels entgegnen ?
CS: Das er völlig falsch liegt. Es waren Aquarianer, welche mit der Zucht von z.B. Tridacnen angefangen haben. Ebenso von Korallen. Ebenso wurden durch engagierte Aquarianer die ersten Korallenfarmen vor Ort aufgebaut. Erst dann kamen die Wissenschaftler und haben sich das Know-how abgeschaut. Also ist es am Ende, bis heute auch Aquarianern zu verdanken, dass man inzwischen mehr über diese Tiere weiß. Ich war wirklich sehr viel tauchen, aber den Erkenntnisgewinn, welchen man durch das tägliche Beobachten der Tiere in einem Aquarium bekommen kann, wird man so niemals erreichen können. Egal wie oft man da runter geht.
SWW: Was hältst du vom Argument, daß die Aquarien einmal der Genpool für in der Natur ausgestorbene Korallen sein könnten ?
CS: Davon halte ich gar nichts. Wenn wir das Meer so zugrunde richten würden, daß dort keine Koralle mehr leben kann, nützt auch dieser mini Genpool nichts. Dann wäre es eben wie es ist. Also das Argument zieht in meinen Augen überhaupt nicht. Aber was wir machen sollten sind in der Tat mehr Nachzuchten und weniger Wildentnahmen.
SWW: Genau, zumal ich viel mehr Freude dabei empfinde, wenn sich so ein Winzling im eigenen Aquarium zu einer stattlichen Koralle entwickelt. Da muss ich aber noch kurz eine Frage dazwischen schieben und zwar zu deiner neuen US-Style Linie. Passt m.E. zum Thema, weil es ja z.B. bei der tenuis Disney immer Spekulationen gibt und gab, ob die nur Photogeshoped sind, oder tatsächlich so krass aussehen.
CS: Also ich war ja erst kürzlich wieder drüben in den Staaten und hab mir angeschaut, wie die das machen. Es ist halt eine total andere Philosophie. Die knallen dort nur Blaulicht drüber und bilden eben die Fluoreszenz der Tiere aus. Dazu nehmen sie ausgesuchte, geeignete Tiere. Und eben gerade die A. tenuis eignet sich, wie auch einige Millepora sehr gut für diese Art der Hälterung. Die Rainbows werden also gezielt ausgesucht und dann entsprechend behandelt. Ich habe einige gesehen, welche tatsächlich, auch unter dann „normalem“ Licht echt krasse Farben gezeigt haben. Also nicht wirklich ein Mythos, sondern eben eine gezielte Selektion verbunden mit einer eigenen Methodik. Und irgendwie hat das auch was. Daher haben wir uns entschlossen, m.W. bisher als einziger Korallenzüchter in der EU, diese Korallen in einer eigenen Linie anzubieten. Eben auch bewußt, um von unserer Art abzugrenzen. Damit weiß der Kunde, was er kauft, wenn er sich für US-Style entscheidet.
SWW: Krass, hätte ich so nicht gedacht. Für mich sahen da die meisten Bilder immer extrem gepusht aus.
CS: Klar, die gibt es und sind es auch in vielen Fällen. Aber es geht eben auch tatsächlich, wie bereits beschrieben.
Beispiele für US-Style Frags aus deutscher Zucht von Extreme Corals:
SWW: Okay, ich finde das cool und bin eigentlich begeistert von solchen Tieren. Aber das ist Geschmacksache. Umso schöner, dass es sie tatsächlich auch gibt und man so etwas aus den Korallen rauskitzeln kann.
Wenn wir aber gerade bei deinen Produkten sind. Um die Bacto Balls gibt es auch so einige Mythen, obwohl die noch gar nicht lange am Markt sind.
CS: Das stimmt allerdings.Bei dem Produkt, da habe ich mich geirrt und daher passt auch das, zumindest etwas, zum Thema. Und zwar ist es so, daß es diese Kugeln schon einige Zeit gibt. Aber Kugel ist nicht Kugel. Wir hatten sehr lange Probleme, den richtigen Trägerstoff zu finden, damit das mit den Bakterien auch richtig funktioniert. Und hier konnte ich erst durch zwei Hinweise von befreundeten Wissenschaftlern eins und eins zusammenbringen und mit dem berühmten „Aha – Effekt“ das ganze so umbauen, daß es gepasst hat. Fünf Jahre lang habe ich davor sozusagen im trüben gefischt und war eigentlich so dicht davor. Also es gehört manchmal auch sehr viel Glück dazu, ein so gut funktionierendes Produkt zu entwickeln.
SWW: Die meisten Berichte, welche ich lese, sind ja auch sehr positiv. Jedoch scheint die Reaktion der Balls doch von Aquarium zu Aquarium sehr unterschiedlich zu sein.
CS: Ja, was auch logisch ist. Ich meine, wir reden hier von Bakterien, Organik und wie die Balls durchströmt werden. Ein einfaches Beispiel. Ich bekam einige Anfragen von Leuten, deren Balls innerhalb kürzester Zeit aufgelöst waren. Dann fragte ich diese, wo sie die Balls denn reintun. Bei einigen war es der Filterstrumpf, durch welchen das Wasser zur Vorfilterung strömt. Das habe ich mir dann mal bei mir genauer angeschaut und festgestellt, dass die Kugeln dadurch einen Spin bekommen und sich dadurch, ähnlich wie ein Zuckerwürfel im Kaffee, schneller auflösen. Also so etwas muss man genauso bedenken, wie die eigene Nährstoffsituation im Becken.
SWW: Lass mich da nochmal eine Anschlussfrage stellen. Viele fragen ja, ob die Balls systemunabhängig sind. Triton z.B. empfiehlt ja gar keine Bakterien einzusetzen.
CS: Also die Bälle sind in der Tat systemunabhängig. Sie funktionieren, zumindest von den Kunden, mit welchen ich bisher Rücksprache gehalten habe, auch mit der Triton Methode sehr gut. Aus meiner Sicht harmonieren diese zwei Bausteine sogar sehr gut. Da möchte ich wieder auf eine meiner Eingangsstatements verweisen. Nämlich das ich es ebenso für einen Mythos halte, das es am System liegt. Ich sage, das System welches man fährt, ist völlig egal. Ein guter Aquarianer wird mit jedem System immer ein ähnlich gutes Becken hinbekommen. Ein Aquarienbesitzer…na den Rest kennst Du ja.
SWW: Yep, kenn ich jetzt. Zum Schluss möchte ich noch fragen, was es von Dir in nächster Zeit neues geben wird.
CS: Wir haben einiges in der Pipe derzeit. Möchte noch nicht alles verraten, aber es wird ein sensationelles neues Futter, gerade für SPS zur Farbausprägung geben. Da haben wir etwas entdeckt, was mindestenst so reinhaut, wie unsere Bacto Balls. Dann wird es neue Steine für die Deko geben. Das Material welches wir als Probelieferung bekommen haben ist das beste, was ich bisher in dieser Art gesehen habe. Extrem porös und leicht. Ja und dann werden wir noch mit eigenem echten Atlantik Wasser kommen. Also nicht Nordsee o.ä. sonder Alantik. Und dort aus einem Biosphären Gebiet. Also wirklich extrem gute Qualität.
SWW: Claude, das hört sich alles mehr als spannend an. Das neue Futter darf ich ja schon eine Weile testen und muss sagen, da werden einige richtig Spaß damit haben. Claude, herzlichen Dank für deine Zeit und das Interview, sowie die interessanten Informationen.
Wenn sie mehr zu den Produkten von Fauna Marin wissen wollen, können Sie deren Website besuchen
Wenn Ihnen der Beitrag Gefallen hat, würden wir uns über ein kleines Dankeschön sehr freuen. Spenden werden ausschliesslich für die Anschaffung von neuem Equipment und Testobjekten verwendet.
Autor Immo Gerber
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